Text: Mike Stubbs
RAN HUANG, Fake Action Truth
Vor kurzem beendete der chinesische Künstler Ran Huang sein EMARE 2009 Aufenthaltsstipendium bei VIVID in Birmingham (Central England). Während des Aufenthaltes produzierte er Fake Action Truth, eine Videoprojektion und -installation, die aus einem Loop von fünfeinhalb Minuten besteht und zwischen April und Mai 2009 ausgestellt wurde. Die Produktion erfolgte in HD-Qualität, wobei Konzeptionsphase, Vorproduktion, Casting und die Durchführung gleichermaßen perfektionistisch angelegt waren. Die Postproduktion war ähnlich gut organisiert. Trotz aller Kontrolle in der Produktion ist der Eindruck von Ambiguität und Komplexität die stärkste Empfindung, die die Arbeit hinterlässt.
Zwei Männer boxen in einem abstrakten, dunklen Raum. Dabei berühren sie sich nicht, die Punches – teils Bare-Knuckle-Faustkampf ohne tatsächlichen Körperkontakt, teils der Etikette der Fechtkunst folgend – treffen nicht. Dies ist eher ein Tanz als ein Kampf, gekennzeichnet durch stilisierte und kodifizierte Bewegungen. Der eine Boxer trägt altenglische Tracht, wie sie möglicherweise von „Gentlemen“ getragen wurde, als Boxen in der Viktorianischen Epoche oder zu Zeiten Edwards VII. noch eine Angelegenheit von „Gentlemen“ war (zumindest unserer Vorstellung nach). Der andere Boxer, mit freiem Oberkörper, trägt einen Halsschmuck aus Federn und Körperbemalungen einer indigenen oder schamanischen Kultur, vielleicht der Maori oder aus Nordchina.
Weder typische Fußgeräusche noch Ächzen oder Schnaufen, noch Boxhandschuhe auf nackter Haut – nichts ist von den Boxern zu hören. Stattdessen wurde die Arbeit mit Tonausschnitten aus einen Pornofilm synchronisiert – man hört einen Mann beim Sex. Doch mit wem? Die „ins Leere“ gehenden Schläge sind mit heftigem Atmen unterlegt, das nach Penetration klingt oder der Lust kurz vor dem Orgasmus. Gefolgt von Szenen, in denen sich die Boxer leidenschaftlich küssen und in denen das Deckenlicht schwindelerregend kreist, ist dieses Wechselspiel von eindringlicher Ambiguität. Schnell kommt man an den Punkt, an dem man die eigenen Gefühle gegenüber den Charakteren hinterfragt und auch die instinktiven Reaktionen und Gefühle, die die Tonspur auslöst. Die Situation wird zusätzlich durch die „Easy Listening“-Filmmusik, angereichert mit „klassischer“ 70er-Jahre Pornoromantik, kontrastiert.
In Vorbereitung auf Fake Action Truth hat Ran zahlreiche Spielfilme, in denen es ums Boxen geht, recherchiert und gesichtet, obgleich dies in seinem Film nicht offensichtlich wird, denn es gibt keine direkten Zitate oder visuell eindeutigen Verweise. Das passt zu Huangs Äußerungen über seine Arbeit. Er beharrt darauf, dass seine Kunst kein „Container“ für Ideen oder Selbstdarstellung sei. Allerdings: Auf eine Analyse zu verzichten fällt schwer angesichts des eindringlichen Materials, vor allem, weil Raging Bull die wohl deutlichste Referenz ist. Zwischen beiden Arbeiten können viele Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, und obwohl Fake Action Truthnatürlich kein konventioneller narrativer Film ist, spielen hier die zentralen Themen von Raging Bull (wie in vielen weiteren von Scorseses Arbeiten) eine wesentliche Rolle: Leidenschaft, Glaube, unterdrückte Sexualität, Liebe, soziale Ausgrenzung, Konkurrenz, Eifersucht, kulturelle Differenzen, Gewalt in der Familie und Sexismus – sie alle sind enthalten, kodifiziert.
In Fake Action Truth geht es um die Dekonstruktion der Repräsentationen von Männlichkeit und um ein cooles, stilisiertes Spiel mit Image und Mode in der Kunst, doch wichtiger noch, um die Dekonstruktion von Machtverhältnissen. Es gibt keine offenkundige Frustration, die Gewalt wird nicht zum Zwecke der Repräsentation ästhetisiert, und der Film endet mit einem Kuss. Obwohl von Huang nicht offensiv angesprochen, verweist die Arbeit auf seine eigene Sexualität, und man fragt sich zwangsläufig, ob er hetero, schwul oder beides ist. Der Pornofilm-Soundtrack ist offenbar einseitig, die Person, der wohl die Penetration gilt, ist nicht zu hören. Die Wirren und Vieldeutigkeiten der Sexualität und der männlichen Beziehungen suggerieren große Fragen nach Ordnung, Reglementierung, ritualisierter Gewalt, sogar nach internationalen Beziehungen und Geschichte – all das über die Chiffre der Penetration.
Einerseits ist das Publikum bewusst in ein Kunstwerk innerhalb des Kunstkontextes involviert, andererseits ist die fast pawlowsche Reaktion auf die Sexgeräusche instinktiv und verwirrend. In der früheren Arbeit Circus (2008) wird eine Tannoy, eine Art Megafon-Lautsprecher für öffentliche Ansprachen, eingesetzt, und in Huangs Zeichnungen findet man häufig Verweise auf Gebote, Konformität und öffentliche Ansprachen (d.h. Befehle), verkörpert durch die Tannoy. Sie ist ein starkes Sinnbild für „Befehl und Gehorsam“ und ein vertrautes Symbol in vielen Arbeiten chinesischer Künstler, zum einen als Repressionsinstrument des Staates, aber auch als Zeichen von Ungehorsam und Protest. In einer ausgezeichneten Arbeit von Minouk Lim aus Südkorea mit dem Titel New Town Ghost wird das Megafon als Lautsprecher für eine „punkige“ Brandrede eingesetzt, in der ihre Unzufriedenheit mit der „Erneuerung“ der Stadt Seoul zum Ausdruck kommt. Angesichts der Art und Weise, wie Minouk Lim für ihre Botschaft eine Verkörperung in Form des Megafons gefunden hat, vertiefen sich auch bei Huang die künstlerischen Referenzen zuRaging Bull. Wenngleich Huang sich in erster Linie als Künstler sieht, der zufällig aus China stammt, sind die Einflüsse seiner London-Art-School-Ausbildung von der Coolness einer zeitgenössisch „westlichen“ Tradition. Seiner Erforschung kultureller Identität und Frustration liegt jene tiefe Spaltung zugrunde, die in den Beziehungen zwischen Ost und West, zwischen zeitgenössischen und traditionellen Werten implizit ist, und dies wird auch durch seine „westliche Coolness“ nicht vollständig überdeckt. In seiner Neutralität ist Fake Action Truth sowohl ein Gegenentwurf zu Raging Bull als auch ein Versuch, feindselige Wahrnehmungen und Beziehungen umzudeuten, seien sie persönlicher Natur, zwischen Nationalstaaten oder – vereinfachend gesagt – zwischen West und Ost. Ich bin froh, dass dieser
Auseinandersetzung, dieser Boxring-Situation, letztlich ein Happy-End und der Überraschungs-Kuss folgen.
Im letzten Jahr engagierte ich mich über FACT (Foundation for Art and Creative Technology, Liverpool) für die Entwicklung von Beziehungen zu China und präsentierte einen wesentlichen Beitrag – die Arbeiten von Anthony McCall und Al und Al – in der AusstellungSynthetic Times am NAMOC (National Art Museum of China, Beijing). Erfolgreich vertrat FACT Großbritannien im olympischen Kulturprogramm, der weltweit größten Überblicksausstellung von Medienkunst. Wir waren nicht nur Zeuge bedeutender Veränderungen, wir trugen auch unseren Teil dazu bei. Im Zuge der Frage, ob FACT an Synthetic Times teilnehmen sollte, musste ich abwägen, ob die Wahrnehmung von FACT in diesem Kontext positiv oder negativ ausfiele und ob wir durch unsere Teilnahme ein repressives Regime legitimieren würden. Rückblickend denke ich, dass es die richtige Entscheidung war. Engagement und Auseinandersetzungen fördern das Denken, Konfrontation hingegen, die Boxring-Attitüde, fixiert Auffassungen und Positionen und verlangsamt dadurch Lernen und Verstehen. Ich ziehe den Tanz dem Kampf vor.
Gefilmt wurde in einer Fabrikhalle (früher eine funktionierende Werkstatt), die jetzt als Galerie von VIVID dient. Sie war zugleich Standort für Rans Aufenthaltsstipendium, wobei er im Winter in einem mobilen, bibliotheksähnlichen Videolabor übernachtete, das sich in der Halle befindet. Angesichts der traumähnlichen Qualität von Fake Action Truth kann ich mir vorstellen, dass eine intensive traumähnliche Erfahrung wesentlich zur Entstehung beigetragen hat. Künstleraufenthalte schaffen durch die Kombination von Muße und Ortsveränderung reichlich Gelegenheiten, neue künstlerische Gebiete zu erforschen und neue Wege in der Realisierung einzuschlagen. In den letzten 15 Jahren erhielten über 120 Künstlerinnen und Künstler im Rahmen von EMARE diese Möglichkeit, und die erfolgreichen Ergebnisse sprechen für sich. In Rans Fall wird deutlich, dass der Künstler über genügend Zeit für eine Erkundung des Ortes verfügte, ohne die das Knüpfen von Beziehungen zu den Leuten vor Ort nicht möglich wäre. Neben dem exzellenten Team von VIVID spielte eine ganze Reihe von Einwohnern eine wichtige Rolle mit ihren vielfältigen Fähigkeiten, vom Boxen bis zum Kostümdesign, angeheuert für die Filmproduktion. Die von Juneau Projects beigesteuerten Effekte oder die Kostüme von Marcus Coates sind keine Fremdkörper in Huangs Arbeit, vielmehr gibt es ein gemeinsames Interesse an einer uralten (pseudo-)schamanischen Natur. Wie hier deutlich wird, sind es die zufälligen Begegnungen und Beobachtungen, die die Qualität eines Aufenthaltsstipendiums ausmachen. Die Idee, eine bestimmte Kleidung und Federn zu verwenden, stammte von lokalen Projektmitarbeitern. Sie ist das Ergebnis eines eingehenden Dialogs, wobei die Dinge gemeinsam entstanden, während man Zeit und Ideen miteinander teilte.
Ich habe das Gefühl, dass Huang während seines Aufenthaltes viel Zeit im Boxring verbrachte, in der Konfrontation mit sich selbst und damit, ein Mensch und ein Mann zu sein.